Jančar hat sich im Helden seines neuen Romans abgebildet.
Jože Suhadolnik/Delo

Slowenische Zeitgeschichte im Roman – so ließe sich Drago Jančars Werk am einfachsten beschreiben. Krieg, Partisanenkampf, Nationalitätenstreit, deutsche Besatzung, sozialistische Diktatur sind seine Themen, eine Geschichte von Gewalt und Repression, die er am dichtesten in dem 2019 erschienenen Roman Wenn die Liebe ruht verarbeitet hat, wahrlich ein Meisterwerk der mitteleuropäischen Literatur. Im Vergleich dazu ist Als die Welt entstand, trotz der großen Ankündigung im Titel, wie eine schmale Etüde – Schauplatz, Handlung und Thema bleiben in sich geschlossen, auf wenige Personen konzentriert, in langsamer Entwicklung.

Sieger und Besiegte

Der Roman ist eine Coming-of-Age-Geschichte im Jugoslawien der ausgehenden Fünfzigerjahre, mit all den Untiefen des immer noch vom Krieg bestimmten Lebens. Schauplatz, wie oft bei Jančar, ist dessen einst auch von Deutschsprachigen bewohnte Geburtsstadt Maribor. Immer noch ist es eine aufgeladene Zeit, geprägt vom Kommunismus, der ein brutales, repressives Gesicht ebenso hat wie ein sentimentales: viel Heldentum-Folklore, durchmischt mit Alkohol und Rachegefühlen, im Hintergrund staatliche Verfolgung, Säuberung, soziale Benachteiligung. Die jugoslawische Gesellschaft kennt nur Sieger und Besiegte.

Jančar erzählt diesen Zwiespalt aus der Perspektive des heranwachsenden Danijel. Er ist der Sohn eines verbissenen Partisanenkämpfers und einer gläubigen katholischen Mutter. Allein schon familiär erlebt Danijel die Widersprüchlichkeit der Welt, und sei es nur die zwischen Kirche und sozialistischem Schulsystem, wenn er sich ständig rechtfertigen muss, dass er immer noch den Religionsunterricht beim Pater Aloisius besucht. Dabei sollte er doch zu denen gehören, die als "Pioniere der neuen Welt" vorangehen.

Der Vater, der in einem deutschen Lager war, reagiert verständnislos und erbost, flüchtet sich lieber in die verklärte Vergangenheit des "Volksbefreiungskampfes", erzählt Heldengeschichten, in denen er gerne Hitler erschossen hätte, wenn er nur damals auch in Maribor gewesen wäre, als Hitler die Stadt besuchte. "Das verstehst du nicht", bekommt Danijel über den Vater zu hören, wenn sich der wieder einmal im Wirtshaus besäuft, "was hat er denn vom Leben". Oder wenn Vaters Kameraden in die Wohnung kommen: Dann wird es laut, aggressiv, dann fliegen Gläser gegen die Wand. Danijels Mutter hat für die nächtlichen Saufgelage nur ein deutsches Wort übrig: "Elend".

Männerbesuch

Über all dem liegt aber auch "ein großer Klumpen Traurigkeit", und erst recht gerät diese für Danijel so verstörende Welt aus den Fugen, als eine junge Sekretärin, das "Fräulein", im Haus einzieht und das erotische Interesse des Heranwachsenden weckt. In der Folge wird Danijel unmittelbar Zeuge zwischenmenschlicher Verhängnisse, denn die junge Frau, die sonntags zur Kirche geht, bekommt bald Männerbesuch. Schließlich gehen zwei bei ihr ein und aus – "Gestapohure", sagt Danijels Vater, eine tragische Geschichte bahnt sich an, die am Ende zum Kriminalfall wird.

Jančar baut diese sehr überzeugend in die große gesellschaftliche Geschichte ein und steuert sie langsam in eine Katastrophe, die ebenso irritierend auf den Jugendlichen wirkt wie das Widersprüchliche der politischen Welt, die sich nicht so einfach in Gut und Böse teilen lässt. Genau das macht die Deutung der Gegenwart so schwer, wenn die als traumatisch erfahrene Vergangenheit immer noch präsent ist und der jugendliche Held hilflos an den Nahtstellen dieser Konfliktwelt steht: da der fanatische Vater, die heldenhaften Partisanenkämpfer und ihr "Marschall", dort die verachteten "Pfaffen" und verfluchten "Deutschen". Die Gegensätze, die Danijel, zu Hause, in der Schule, erlebt, sind nicht nur atmosphärisch spürbar, die Dogmen der Ideologie fordern ihre Opfer: Danijels Geschichts- und Geografielehrer verschwindet eines Tages ebenso wie die deutschstämmige Familie seines Schulfreundes Franci.

Drago Jančar, "Als die Welt entstand". € 26,80 / 272 Seiten. Zsolnay, Wien 2023
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Schwerfällige Fantasiewelt

Jančar, selbst Sohn eines Partisanenoffiziers, mag sich in seinem jungen Helden wohl abgebildet haben, er gibt ihm eine Stimme und viel Fantasie, die immer wieder die Realität durchkreuzt, und gleichsam als Korrektiv setzt er eine zweite Erzählinstanz ein, die das Erzählte vermittelt. Ob das eine gelungene Strategie ist, ob nicht eine Perspektive mit größerer Distanz angebrachter gewesen wäre, sei dahingestellt. Danijel tut sich jedenfalls schwer, diese gerade entstandene Welt, die so tief in der alten wurzelt, zu verstehen, und taucht zwischendurch in eine Fantasiewelt ein, die ein wenig konstruiert wirkt. Diese zweite Ebene macht den Roman auch etwas schwerfällig, denn durch das ständige Unterlaufen der Wirklichkeit wird diese erst recht nicht begreifbar. Aber vielleicht ist ja das die Absicht des Romans. (Gerhard Zeillinger, 14.10.2023)